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< Nieder mit imperialistischen Aggressionen und Kriegen!

Die imperialistische Welt und die Georgien-Krise


Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine fokussiert sich die ganze Welt auf die Ukraine-Krise. Der Krieg findet in einem beschränkten Gebiet statt, aber seine Auswirkungen und Folgen sind auf der ganzen Welt zu spüren. Dies ist nicht verwunderlich, denn was sich als Ukraine-Krise abspielt, ist tatsächlich nichts anderes als der heutige verstärkte Ausdruck der auf Widersprüchen und Spannungen basierenden inneren Beziehungen der imperialistischen Welt. Man könnte es auch als den heutigen Höhepunkt einer 30-jährigen turbulenten Phase bezeichnen.

Die 2008 ausgebrochene georgische Krise (und der Krieg) war ein weiteres kritisches Glied in dieser konfliktreichen Phase innerhalb der imperialistischen Welt. Darüber hinaus war es eine erste wichtige Bruchstelle. Um die heutige Ukraine-Krise richtig einordnen und sie damit tiefer begreifen zu können, wird es daher in jeder Hinsicht nützlich sein, auf die Georgien-Krise zurückzublicken. Prozesse, Probleme, Widersprüche, Konfliktdynamiken, Parteien, Haltungen, kurz gesagt fast alles, ähnelt der heutigen Situation. Die heutige Ukraine-Krise ist nichts weiter als die ausgereifte Form der gestrigen Georgien-Krise, die sich heute widerspiegelt. Wir sind überzeugt, dass die vier Artikel, die wir hier zusammengefügt veröffentlichen, dies mit ausreichender Klarheit darlegen.

Die Artikel wurden in den Tagen, als die georgische Krise Kriegsdimensionen annahm, als aufeinanderfolgende Leitartikel der Kızıl Bayrak (Rote Fahne) verfasst. Diese Auswertung, die wir hier unter dem Titel Die imperialistische Welt und die Georgien-Krise veröffentlichen, erläutert die nahe Vergangenheit des von der Auswertung mit dem Titel Die imperialistische Welt und Ukraine-Krise dargelegten Kontextes und vervollständigt diesen somit.

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Imperialistische Einflusskämpfe im Kaukasus

Das unmittelbare Ergebnis des neuen Krieges, der mit Georgiens willkürlichem und regellosem Angriff auf Südossetien begann und sofort zur harten Intervention Russlands führte, sind Zerstörung und Leid für die armen und unterdrückten kaukasischen Völker. Als physischer Aspekt der Zerstörung sind die zusammengebrochenen Städte, die getöteten oder verletzten Tausenden Zivilisten und die aus ihrer Heimat vertriebenen Massen noch vor Augen. Was im Moment nicht sichtbar ist, aber dessen Wirkung tiefer und dauerhafter sein wird als der physische Schaden, sind die verursachte Zerstörung der Beziehungen zwischen den Völkern und die Zerstörung, die noch verursacht werden wird.

Basierend auf einer Reihe subtiler Berechnungen, die seine Grobheit sofort enthüllten, war dieser neue Krieg, der mit den Olympischen Spielen in China zusammenfiel und diese direkt in den Schatten stellte, vom ersten Tag an das Thema hitziger Debatten in der bürgerlichen Welt. Da das durch die georgische Marionettenregierung Amerikas aufgeführte Schauspiel sehr grob und offensichtlich war, sahen viele bürgerliche Schriftsteller:innen, Expert:innen oder Journalist:innen keinen Nachteil darin, auf die Wahrheit jenseits der Erscheinung hinzuweisen.

Es wurde auf eine gewisse Weise zum Ausdruck gebracht, dass der wahre Grund dieses Spiels auf Kosten der Kaukasusvölker nicht aus einer Reihe interner regionaler Probleme besteht, sondern der imperialistische Machtkampf um die Weltherrschaft ist. Neben zahlreichen Kommentaren zum von der georgischen Regierung gespielte Glücksspiel, ihrem begangenen Abenteuer und ihren schwerwiegenden Fehlkalkulationen, wurde auch auf die eine oder andere Art zum Ausdruck gebracht, dass es in Wahrheit die Vereinigten Staaten und die NATO waren, die sie jahrelang vorbereitet, heute dazu verleitet und sie zu diesem unmöglichen Abenteuer ermutigt haben.

Dieser durch die Kollaborateur-Regierung Georgiens entfachte Krieg, der mit allen Mitteln vom amerikanischen Imperialismus und dem imperialistischen NATO-Bündnis unterstützt und gegen Russland genutzt wird, ist ein von beiden Parteien geführter reaktionärer und imperialistischer Krieg. Es ist ein reaktionärer Krieg, weil er bei keiner der im Vordergrund stehenden Parteien auf einem gerechten und legitimen Grund basiert. Es ist ein imperialistischer Krieg, weil er das Produkt und die Ausweitung des imperialistischen Einflusskampfes am Kaukasus ist.

Als eine der Parteien in diesem imperialistischen Machtkampf befindet sich Russland offen im Krieg und steht daher im Rampenlicht. Doch die andere Front bildet als eigentlicher Aggressor der amerikanische Imperialismus verdeckt im Hintergrund. Nicht er selbst steht auf der Bühne, sondern dessen Marionetten als seine Stellvertreter. Für seine eigenen Interessen hat er das kleine, arme und schwache Land Georgien in den Krieg geführt, sodass er es neben einer schweren Niederlage und Zerstörung auch einer Demütigung ausgesetzt hat.

Russlands Krieg mit Georgien ist in Wirklichkeit nur ein neuer Zusammenstoß des vielschichtigen imperialistischen Einflusskampfes um den Kaukasus, und diesen hat vorerst Russland für sich entschieden. Dieser Sieg war nicht gegen Georgien, sondern direkt gegen die USA. Indem Russland die Armee Georgiens physisch und moralisch zerrüttete, dessen militärische Infrastruktur zerstörte, einige seiner Städte eroberte und dadurch eine Position erhielt, in der es seine Bedingungen aufzwingen kann, erlangte es eine erdrückende Überlegenheit. Wie auch viele bürgerliche Beobachter hervorgehoben haben, wurde dieser Sieg Russlands in Wirklichkeit gegen die Vereinigten Staaten erkämpft. Die wiederholten harten Reaktionen aus ihren höchsten Rängen sind ein Beweis dafür, auch wenn ihnen immer noch die Kraft und die Basis dafür fehlen, um sich direkt in den Kriegsverlauf einzumischen.

Der amerikanische Imperialismus, der eigentliche Drahtzieher der nicht endenden Expansionspolitik der NATO in Richtung Ost-Europas, versucht damit einerseits die Beschaffenheit und die Erweiterung der EU unter Kontrolle zu halten, andererseits versucht er Russland systematisch einzukreisen und in den von ihm diktierten Grenzen einzusperren. Die dadurch geschaffene Kontrolle über die EU-Führung Deutschland und Frankreich bietet den USA natürlich auch die Möglichkeit, diese Länder beim Aufbau der Beziehungen zu Russland einzuschränken.

Diese Politik, Russland einzukreisen, war bisher sehr erfolgreich. Das Ziel wurde in den ehemaligen osteuropäischen Ländern, den baltischen Staaten und auf dem Balkan Schritt für Schritt erreicht. Russland wurde aus all diesen Gebieten verdrängt und stark belagert. Trotz seines Widerstands dagegen, den es in jeder Phase leistete, musste es sich schließlich wohl oder übel mit dem Geschehen abfinden. (Erinnern wir uns nebenbei auch daran, dass die gleiche Belagerung aus dem Osten mit der Besetzung Afghanistans auf die Tagesordnung gebracht wurde und dass folglich wichtige Stellungen eingenommen wurden).

Die Ukraine und Georgien sind die letzten Kettenglieder der vom Westen vorrückenden Belagerung geworden. Durch die von Soros geprägten "Farbrevolutionen" konnten die USA auch diese beiden Länder mit unerwarteter Leichtigkeit unter ihren Einfluss bringen. Nun stand auf der Agenda, diese Länder in die NATO aufzunehmen, als neue Kettenglieder zu festigen und somit Russlands Belagerung zu verstärken. Das bedeutete jedoch auch, dass das Sich-Abfinden Russlands mit der Situation seine Grenzen erreicht hat. Wladimir Putins ungewöhnlich offene und harte Rede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz (Februar 2007), die sich gegen die Vereinigten Staaten und die NATO richtete, war ein wichtiges erstes Zeichen dafür. Doch die USA führte ihren Kurs fort und ergänzte ihn durch zusätzliche neue Schritte. Unter Ausschluss Russlands erkannten sie die Unabhängigkeit Kosovos an und bestanden darauf, das Projekt zur Errichtung eines Raketenabwehrsystems gegen Russland in Osteuropa umzusetzen.

Dabei sollte die Aufnahme der neuen Kettenglieder Ukraine und Georgien in die NATO der Belagerung eine neue Dimension verleihen. Der veranlasste Angriff Georgiens auf Südossetien – eine winzig kleine kaukasische Volksgemeinschaft – war ein Teil dieses Prozesses. Hätte Russland auch dies hingenommen, dann wäre Abchasien das nächste Angriffsziel geworden und es bestände kein Hindernis mehr für die NATO-Aufnahme eines Georgiens, das seine internen Probleme gelöst und seine Einheit hergestellt hat.

Diese Fehlkalkulation, für die die Bevölkerungen Südossetiens und Georgiens eine hohe Rechnung tragen müssen, wurde von Russland abgewendet. Dies ist die eigentliche Bedeutung des georgisch-russischen Krieges.

Das besondere Interesse des amerikanischen Imperialismus an Georgien geht über die anhaltende Belagerung Russlands hinaus. Georgien ist ein Kaukasusland und Kaukasien ist ein wichtiger Transitpunkt für die großen Öl- und Gasvorkommen des Kaspischen Meeres und Zentralasiens. Die Kontrolle des Kaukasus mittels Georgiens bedeutet die Kontrolle dieser Transitpunkte. Dies steckt hinter dem besonderen Interesse und den Kalkulationen des amerikanischen Imperialismus hinsichtlich Georgiens. Die Kontrolle dieser Region; der kritischen Transitpunkte für Energieressourcen durch Georgien und Aserbaidschan, bedeutet, nach dem Nahen Osten nun auch durch diese Region die imperialistische Welt, insbesondere Europa unter Kontrolle zu halten. All dies sind ergänzende Teile der Kämpfe des amerikanischen Imperialismus um die globale Herrschaft.

Hinter dem unerwarteten Widerstand Russlands stehen ebenfalls diese strategischen Positionen und Probleme. Russland, das sich mit der Putin-Regierung aufrappelte und damit enorm an Selbstbewusstsein und Ansprüchen gewann, will nach Möglichkeit die Kontrolle über die mit Zentralasien verbundenen Pipelines oder zumindest ein effektives Mitspracherecht erlangen. Das ist eine Notwendigkeit der imperialistischen Politik, die es im eigenen Interesse verfolgt. Die Aufrechterhaltung seines einflussreichen Platzes in der Weltpolitik und die Vereitelung der Bemühungen der USA, es zu einer gewöhnlichen Regionalmacht zu degradieren, hängen ebenfalls davon ab.

Durch die Vereitelung des jüngsten, über Georgien ausgeführten Zugs der USA, hat Russland – wenn der Ausdruck in diesem Rahmen angemessen ist – die USA in ihre Schranken gewiesen und dementsprechend einen erheblichen Vorteil erlangt. Doch das ist lediglich eine gewonnene Schlacht in einem umfassenden und langfristigen Krieg um die imperialistische Vorherrschaft. Nichtsdestotrotz ist dies angesichts des Wendepunktes in der Politik des ständigen Zurückweichens und Sich-Abfindens von hoher Bedeutung.  

Kommen wir zur Bedeutung der Ereignisse im engsten Sinne. Georgien als einer der neuen Staaten, die mit der Auflösung der Sowjetunion entstanden sind, trat lange vor der jetzigen Regierung der Marionette Michail Saakaschwili, bereits während der Regierung unter Eduard Schewardnadse in die Umlaufbahn des amerikanischen Imperialismus ein. Soros‘ "samtene Revolution" bedeutete nichts anderes, als eine alte und völlig mit Korruption behaftete amerikanischen Lakaien-Regierung durch eine neue zu ersetzen.

Dennoch war diese Veränderung wichtig. Die USA zielten mit dieser neuen Regierung darauf ab, Georgien neuzuordnen, in ihrer eigenen Linie zu festigen und bei Bedarf in eine Angriffshaltung zu führen. Michail Saakaschwili, der aus den USA an die georgische Spitze gebracht wurde und wie ein amerikanischer Agent handelte, schien für diesen Job wie maßgeschneidert zu sein. Mit der Saakaschwili-Regierung wurde Georgien förmlich zu einem US-Staat und um diese Marionettenregierung zu stärken, wurden alle proamerikanischen Regime der Region mobilisiert – allen voran die Türkei, Israel und die kurze Zeit später in die Reihen der USA eingetretene Ukraine. Die von amerikanischen, türkischen und israelischen Experten ausgebildete und durch die Erneuerung in ihrer militärischen Infrastruktur gefestigte Armee Georgiens wurde genau für die jetzige Zeit, also im Namen des „Schutzes der Ganzheitlichkeit des Territoriums“ gegen die anderen Völker vorbereitet, die formal in dessen Landesgrenzen zu sein scheinen, aber tatsächlich autonom agieren. Diese Völker in die Knie zu zwingen und sie mit Gewalt unter die Führung Georgiens zu bringen, war nämlich unter allen anderen der wichtigste Schlag gegen Russland. Anders ausgedrückt: Es war von Anfang an klar, dass die georgische Armee gegen die gewaltige militärische Kraft Russlands nicht mal ein paar Tage hätte aushalten können. Deshalb sollte sie nicht direkt gegen Russland, sondern gegen die Völker Abchasiens und Südossetiens eingesetzt werden, wobei der Erfolg jedoch ein wichtiger Schlag gegen Russland sein sollte, von dem die USA profitieren.

Gerade weil Russland dies genau so erkannt hat, hat es sich sofort nach dem gegen Südossetien gerichteten gesetzlosen Vernichtungsangriff aktiv in Bewegung gesetzt. Den aus dem Umfeld der USA und EU folgenden Drohungen keine Beachtung schenkend, hat es diese jahrelang vorbereitete Marionettenarmee niedergeworfen und Georgien förmlich gefangen genommen. Somit hat es alle Pläne der USA und ihrer Kollaborateure in dieser Region zunichtegemacht; selbstverständlich nicht für die Freiheit der Völker Südossetiens und Abchasiens, sondern rein für die eigenen imperialistischen Interessen.

Lasst uns zu all dem noch folgendes hinzufügen: Die seitens Georgiens im Namen des sogenannten „Schutzes der Ganzheitlichkeit des Territoriums“ versuchte gewaltsame Unterwerfung der Völker Abchasiens und Südossetiens hat keinerlei rechtliche und damit auch keine legitime Basis. Es kann keine rechtliche Basis und Legitimität dafür geben, dass ein Volk oder eine ethnische Gemeinschaft mit Gewalt innerhalb der Grenzen irgendeines Staates gehalten wird. Das ist einzig und allein auf der Basis von Freiwilligkeit möglich. Jeder andere Weg und Ansatz ist illegitim und die gewaltsame Unterwerfung einer anderen nationalen oder ethnischen Gemeinschaft bedeutet deren Tyrannisierung. Wir Kommunist:innen sind stets für den breitesten Zusammenschluss der Völker, jedoch nur unter der Voraussetzung einer Freiheits-, Gleichheits- und Freiwilligkeitsbasis. Dafür verfügt heute das als amerikanische Marionette unter einem faschistischen diktatorischen Regime stehende Georgien keinerlei Bedingungen.

Andererseits gibt es keine historische oder kulturelle Grundlage für die Eingliederung dieser genannten Völker in Georgien. Die Tatsache, dass diese Völker in Zeiten der Sowjetunion autonome Regionen innerhalb der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik waren, verleiht Georgien, der heutigen Marionettenrepublik der USA, kein solches Vorherrschaftsrecht. Die Prinzipien und Bedingungen, die die administrative Aufteilung und die Beziehungen der Völker innerhalb der UdSSR definierten und regelten, waren nämlich grundlegend anders als die heutigen. Daher kann es mit dem Festhalten an der damaligen Situation heute keinerlei Sinnhaftigkeit, Rechtfertigung und legitime Grundlage zur Herrschaft über diese Völker geben.

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Eine neue Ära der inneren Beziehungen
der imperialistischen Welt

Der russisch-georgische Krieg markiert einen Wendepunkt in den inneren Beziehungen der imperialistischen Welt. Die internationalen Entwicklungen der Tage nach dem Krieg machen dies immer deutlicher. Der zwischen den USA und Polen in den Folgetagen des Krieges abrupt unterzeichnete "Raketenschutzschild"-Vertrag, der nun seit mehr als 18 Monaten verhandelt wird; die Tatsache, dass Russland diesen Schritt sofort als einen auf sich gerichteten groben Angriff gezählt, Polen zu einem "100-prozentigen Ziel" erklärt und verkündet hat, auf dieses Vorgehen mit neuen militärischen Maßnahmen zu reagieren; die Russland herausfordernde Ankündigung der NATO nach ihrem außerordentlichen Treffen, den Beitritt Georgiens und der Ukraine zu beschleunigen; die Aussetzung der militärischen Zusammenarbeit Russlands mit der NATO; die USA, die mit ihrer Flotte schon seit vielen Jahren in die Gewässer des Schwarzen Meeres wollen und endlich den ersten symbolischen Schritt in diese Richtung unternommen haben, indem sie den angeblichen Widerstand ihrer Kollaborateure in der Türkei gebrochen haben; all dies sind die ersten Anzeichen einer neuen Epoche in der Weltpolitik.

Es ist nun eine neue Ära eingetreten. Das erste grundlegende Merkmal dieser neuen Ära ist die Vertiefung der Hegemoniekrise in der imperialistischen Welt und die darauffolgende schrittweise Bildung bestimmte Blöcke. Das zweite ist, dass die seit Jahren bis auf Messer geführten imperialistischen Einflusskämpfe, – die aber bis jetzt bedeckt oder indirekt geführt wurden – von jetzt an offener geführt werden. Das dritte Merkmal ist das als direkte Folge der Konfrontation dieser Fronten steigende Wettrüsten auf ein neues Niveau. Das Vierte ist die Zunahme regionaler Krisen und lokaler Konflikte, die von Zeit zu Zeit die Form von Kriegen annehmen werden.

Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Auflösung der Sowjetunion schienen den US-Imperialismus zum einzigen konkurrenzlosen Superstaat der Welt gemacht zu haben. Aber dies war, wie die nachfolgenden Ereignisse zeigten, nicht das Ende der Probleme für ihn als Hegemonialmacht der imperialistischen Welt, sondern im Gegenteil vielmehr der Beginn der Probleme. In einer nach den Ereignissen vom 11. September verfassten Auswertung wurden diese Problembereiche wie folgt zusammengefasst:

"Der Zusammenbruch des Warschauer Paktes und die Auflösung der Sowjetunion machten die USA zur alleinigen Supermacht, andererseits legten sie auch mittelfristig die diese Position gefährdenden Dynamiken frei. Dies war ein neuer Problembereich. Die europäischen Imperialisten und Japan, die gegen den Sowjetblock unter ihrem Schutz standen, auch fortan unter US-Kontrolle zu halten, war das Erste dieser neuen Probleme. Die bis dahin im Einflussbereich der Sowjetunion liegenden und in der neuen Situation durch innere Probleme und äußere Provokationen ins Chaos gestürzten Länder und Regionen nach Interessen der USA neu zu gestalten, war ein weiteres grundlegendes Problem. Ein weiterer Problembereich war die Unterwerfung der Länder, die aufgrund des durch die Existenz der Sowjetunion geschaffenen Gleichgewichts, oder durch diese selbst, entgegen den Interessen der USA handeln konnten. Hinzugefügt werden können hier noch einige grundlegende Probleme wie das unter Kontrolle Bringen Russlands durch die Unterbindung seiner Erholung bis hin zur Verhinderung der Gefahren, die von Chinas Aufstieg ausgehen..." (H. Fırat, Die Welt, der Mittlere Osten und die Türkei, EKSEN Yayıncılık, S.356-57)

Das Betrachten des Weltgeschehens im Kontext dieser Zusammenfassung zeigt, dass jeder Schritt der Vereinigten Staaten – beginnend vom ersten imperialistischen Krieg im Golf (1991) bis zur letzten Georgien Provokation – darauf abzielt, diese Probleme zu ihren Gunsten zu lösen und so die imperialistische Welthegemonie zu verewigen und das imperialistische Weltreich zu errichten, von dem sie träumen. Beide gegen den Golf gerichteten Kriege (1991 und 2003), der Jugoslawienkrieg (1999) und der Krieg in Afghanistan (2003) als Ausdruck des Vorstoßes nach Eurasien wurden als Notwendigkeit dieser Politik auf die Tagesordnung gebracht. Die fortschreitende Expansion der NATO nach Osteuropa und in die ehemaligen Sowjetrepubliken, welche der EU-Expansion einen Schritt vorausging, diente demselben Ziel. Die durch als "Farbrevolutionen" präsentierte Provokationen und Komplotte erreichten Erfolge; das Ansiedeln in Osteuropa und auf dem Balkan mit neuen Stützpunkten und Einrichtungen; die Festigung Israels durch Unterstützung mit allen Mitteln; die von Kriegsandrohungen begleitete Aggression gegen den Iran und schließlich das sogenannte defensive Raketenschutzschild-Projekt, das einer großen Provokation gegen Russland gleichkam; all dies waren unweigerlich die Produkte derselben imperialistischen Weltreichstrategie.

Mit all diesen Schritten beabsichtigte der US-Imperialismus einerseits, eine Reihe neuer strategischer Stellungen und Überlegenheit zu erlangen und andererseits, mithilfe dessen seine möglichen Gegner unter Kontrolle zu halten und zu unterwerfen. Es ist eine Tatsache, dass er in den letzten Jahren eine beträchtliche Anzahl von Erfolgen für diese Zwecke erzielt hat. Osteuropa und der Balkan wurden Schritt für Schritt erobert, Russland wurde inklusive des Kaukasus belagert, der Irak und Afghanistan wurden in Besitz genommen, die NATO erhielt eine neue Form für diese Zwecke und darüber hinaus wurde trotz verschiedener Probleme, die sich aus all dem ergaben, die Kontrolle über Europa und Japan erfolgreich weiter aufrechterhalten.

Jedoch ist es auch eine weitere Tatsache, dass in dieser Politik bestimmte Grenzen erreicht wurden und ein unvermeidlicher Rückgang begonnen hat. Die Hauptdynamik dieser Umkehrung war zweifellos der unbeugsame Widerstand der Völker, die das Ziel imperialistischer Interventionen und Besatzungen waren. Der Irak und Afghanistan sind mittlerweile mehr als zwei die USA ständig Kraft und Prestige kostende Sümpfe zu bezeichnen, statt zwei eroberte Stellungen. Der Widerstand des palästinensischen und libanesischen Volkes gegen die von den USA unterstützte zionistische Kriegsmaschinerie kann trotz aller Bemühungen nicht zerschlagen werden. Auf der anderen Seite werden die Vereinigten Staaten, die mit dem Eurasien-Feldzug ein Weltreich aufbauen wollten, in Lateinamerika – was für sie seit Jahrzehnten ein gefügiger „Hinterhof“ ist – mit einer immer stärkeren, ihre Kraft aus der Bevölkerung schöpfenden Opposition konfrontiert und wissen immer noch nicht, was sie dagegen tun sollen.

All diese Widerstände seitens der Völker zeigten auch ihre direkten Auswirkungen auf die inneren Beziehungen der imperialistischen Welt. Der amerikanische Imperialismus, der trotz der Opposition einiger imperialistischer Machtzentren in den Irakkrieg eintrat und diese missachtete, sah bald, dass er in einen Sumpf geraten war und musste sie nun gezwungenermaßen um ihre Unterstützung bitten und ihre Interessen und Erwartungen bei den geplanten neuen Schritten berücksichtigen. Diese Situation, in die er nach seiner dreisten Kampfansage und seiner Anmaßung, die Weltpolitik fortan einseitig auf eigene Faust festzulegen, nun geraten war, war ein ernsthaftes Zeichen der Schwäche.

Es ist ein Punkt gekommen, an dem nun seitens einer der imperialistischen Mächte – die sich bis heute darum bemüht haben, ihre eigenen reaktionär-imperialistischen Interessen mit denen der Vereinigten Staaten in Einklang zu bringen, sich nicht direkt gegen diese zu stellen und aus diesem Bedenken heraus ihre verschiedenen imperialistischen Aktionen zu unterstützen oder zumindest hinzunehmen, – zum ersten Mal eine offene Herausforderung folgt. Russlands vernichtender Feldzug gegen Georgien war ein Ausdruck dessen und markierte den Beginn einer neuen Epoche der Beziehungen zwischen den Imperialisten.

Die klare Bedeutung dieser jüngsten Entwicklung in Bezug auf die inneren Beziehungen der imperialistischen Welt ist eine sich im System zunehmend bemerkbarer machende Hegemoniekrise. Zum ersten Mal hat sich eine der imperialistischen Mächte aktiv mit einem Krieg gegen die Hegemonialmacht des amerikanischen Imperialismus gestellt. Dies ist eine neue Situation und ein erstes Beispiel seiner Art.

Zweifellos hat Russland, das seit Jahren einem endlosen Belagerungsangriff ausgesetzt ist, in jeder Phase in gewisser Weise dagegen Einspruch erhoben und gefordert, dass seine Rechte und Interessen respektiert werden. Doch zum ersten Mal schlug es den Weg ein, anstatt eine Bitte an die USA zu richten, die eigene Kriegsmaschinerie gegen deren Marionettenstaat einzusetzen und einen von den USA unterstützten Angriff abzuwehren, der auf die Festigung der Belagerung abzielte. Das ist eine völlig neue und bedeutungsvolle Entwicklung. Die harsche Reaktion und auch die schweren Drohungen der US-Regierung sind eine Bestätigung für die besondere Bedeutung dieser Entwicklung.

Das spezielle an der heutigen Situation im Hinblick auf die inneren Beziehungen der imperialistischen Welt ist Folgendes: Die USA, die zurückfallen, an Macht, Einfluss und Prestige verlieren, werden in ihrer Vormachtstellung in der imperialistischen Welt erschüttert. Es existiert jedoch auch keine imperialistische Macht, die es wagen würde, diese Stellung zu übernehmen und sich zu diesem Zweck direkt mit ihnen zu messen. In diesem Sinne sind die Vereinigten Staaten immer noch konkurrenzlos. Die imperialistischen Mächte, die sich von den USA gestört fühlen und deren Interessen den ihren widersprechen, – heute sind das Russland und China – wollen nicht als neue Hegemonialmächte ihren Platz übernehmen, sondern fordern die Teilung der Macht um die Weltherrschaft mit ihnen. Wladimir Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz (Februar 2007), welche für großes Echo sorgte und in der er die Anforderung einer „multipolaren Welt“ äußerte, war ein Ausdruck davon. Diese Anforderung war nichts Neues, jedoch deren konkrete Bedeutung, die sie erstmals durch eine aktive Haltung gewonnen hat.

Die Vereinigten Staaten sind eine zurückfallende imperialistische Hegemonialmacht, aber dennoch weiterhin sehr stark und haben keinen imperialistischen Konkurrenten, der begierig darauf wäre, ihren Platz einzunehmen. Diese bilaterale Situation bewirkt die Verschärfung ihrer Aggression und sorgt auf internationaler Ebene für gefährliche Spannungen, wie anlässlich der letzten Krise auch zu sehen war.

Es ist noch nicht klar, in welche Richtung die Ereignisse in naher Zukunft verlaufen werden. Die USA sorgen immer noch mit einem Schritt nach dem anderen (das Polen-Abkommen, das Versprechen einer NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine und Georgien, die Vorbereitung für die Wiederbewaffnung Georgiens, der Wunsch und die Initiative, die Gewässer des Schwarzen Meeres zu betreten usw.) rücksichtslos für die Zuspitzung der Spannungen. Dennoch besteht auch die Möglichkeit, dass insbesondere durch die Bemühungen Deutschlands und Frankreichs – deren Interessen heute einer solchen Konfrontation mit Russland nicht entsprechen – die Ereignisse in gewissen Maßen und für eine Weile beruhigt werden. Auf jeden Fall gibt es jedoch keine Möglichkeit, in die Zeit vor dem russisch-georgischen Krieg zurückzukehren.

Es hat definitiv eine neue Ära der inneren Beziehungen der imperialistischen Welt begonnen.

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Spannungen, Militarismus und Wettrüsten

Eine der direktesten Folgen der jüngsten Entwicklungen – neben der heutigen angespannten internationalen Atmosphäre – wird sein, dass der Militarismus aus den Zügeln losgelöst und sich ein neues fieberhaftes Wettrüsten auf der Welt verbreiten wird. Diese Tendenz wäre kein überraschendes Ereignis, wenn man die letzten Ereignisse und vor allem die imperialistischen Interventionen in den letzten zehn Jahren auf dem Balkan in Betracht zieht.

Die jüngste internationale Spannung, die mit dem Georgien-Krieg begonnen hat, spitzt sich weiterhin zu. Unbeeindruckt von den aufeinanderfolgenden Warnungen und Drohungen der US- und NATO-Front hat Russland durch den Georgien-Krieg gezeigt, dass es entschlossen ist, diesen Zug konsequent zu einem Ergebnis zu führen. Es hat Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkannt. Dies war ein neuer Schritt, der die westlichen Imperialisten, allen voran die USA zur Weißglut gebracht hat.

Die westlichen Imperialisten, insbesondere das USA-Großbritannien-Duo, wiederholen ständig, dass diese Züge nicht unbeantwortet bleiben werden und dass Russland auf jeden Fall wirksam bestraft werden wird. Doch es scheint so, dass sie noch nicht wissen, wie sie diese Bedrohung konkretisieren können. Diese in die Tat umzusetzen, ist nämlich nicht so einfach wie bloße Drohungen auszusprechen. Erstens steht ihnen keine schwache, mittel- und wehrlose Macht gegenüber. Im Gegenteil, es handelt sich um einen großen imperialistischen Staat, der sich wirtschaftlich schnell erholt und sein Selbstvertrauen wiedererlangt hat und bereits über eine militärische Macht auf der Grundlage einer großen nuklearen Kapazität verfügt. Ihn zu bestrafen ist nicht zu vergleichen mit der Bestrafung vom Afghanistan der Taliban oder Saddam Husseins Irak.

Auf der anderen Seite benötigen sie für eine wirksame Bestrafung in erster Linie einen Konsens und ein einheitliches Vorgehen untereinander. Es ist aber auch nicht einfach, dass das westliche Lager dies unter sich regelt. Die deutsch-französische Achse hat seit Langem unterschiedliche Interessen und Präferenzen zu denen der USA, und Russland spielt hierbei eine wichtige Rolle. Russland ist – mehr als eine Bedrohung – immer noch ein vielseitiger und sehr profitabler Wirtschafts- und Handelspartner für sie. Es ist eine wichtige Quelle für den Energiebedarf, ein profitables Investitionsgebiet und ein wachsender Wirtschaftsmarkt. Außerdem gibt es keine konkrete Bedrohung gegen sie seitens Russlands, das indirekt als ein Gleichgewichtselement gegen die nicht endenden Eingriffe der USA fungiert. Darüber hinaus sehen sie auch, dass eine Kraft, die heute keine Bedrohung für sie darstellt, gerade aufgrund der von den Vereinigten Staaten verfolgten Politik zunehmend zu einer Bedrohung werden kann. Sie wissen auch besser als jeder andere, dass hinter den Geschehnissen immer noch die gegenüber Russland maßlose und seine Erträglichkeitsgrenze strapazierende Einkesselungspolitik der USA steht. Sie sind sich unter anderem auch dessen bewusst, dass diese als NATO-Erweiterung fortgeführte Einkesselung, die der EU-Erweiterung immer einen Schritt vorausgeht, dazu dient, sie selbst und ihre eigenen Einflusssphären zugunsten der USA unter Kontrolle zu halten.

Selbstverständlich sind sie ausgehend von all dem noch nicht in der Lage, sich den Vereinigten Staaten entgegenzustellen. Sie betrachten es heute als noch verfrüht und ihren Interessen nicht dienlich. Solch einen verfrühten Zug in diese Richtung hatten sie in der Zeit des Irakkrieges gemacht und die groben Drohungen von den Vereinigten Staaten erhalten, dass sie nicht ungestraft bleiben würden. Glücklicherweise bewahrte der irakische Widerstand sie vor der Last, den Preis dafür zu zahlen, und so fanden sie leicht die Gelegenheit, ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auf der Grundlage gegenseitiger Interessen wieder zu verbessern.

Dies bedeutete jedoch nicht, dass Interessenkonflikte und die daraus resultierenden Unterschiede in den politischen Präferenzen verschwinden würden. Schon allein die sich verschärfende interne Krise der expandierenden NATO reicht aus, um dies aufzuzeigen. Die NATO ist nach wie vor das effektivste Mittel in den Händen der USA, um die deutsch-französische Achse unter Kontrolle zu halten und somit die EU daran zu hindern, eine einflussreiche Gegenmacht zu werden. Aber genau das ist die Ursache der internen Krise, die die NATO erlebt.

Jetzt versuchen die USA, Russlands jüngstes Auftreten in eine Gelegenheit zu verwandeln, um diese Kontrolle zu intensivieren und sich noch stärker in Osteuropa niederzulassen. Denn sich in Osteuropa in einem neuen Ausmaß zu etablieren, bedeutet gleichzeitig, sich im Herzen des EU-Projekts einzunisten. Die deutsch-französische Achse ist sich zweifelsohne auch dessen bewusst. Deshalb sucht sie nicht nach Wegen, die aktuelle Spannung zu verschärfen, sondern sie zu beruhigen. Ob sie einen Weg finden kann, ist wiederum eine andere Frage. Es gibt in dieser Hinsicht nicht mehr Bewegungsfreiheit, als die Auferlegungen der USA widerwillig und trotzend umzusetzen.

In diesem Fall bleibt den USA die direkte Anwendung ihrer eigenen Macht und Möglichkeiten. Aus imperialistischer Sicht ist dafür der effektivste und zielgerichtetste Weg zweifellos die Ausreizung des Militarismus und des Wettrüstens. Daher ist es kein Zufall, dass die Drohungen, Russland zu bestrafen, von der Rhetorik des "neuen Kalten Krieges" begleitet werden. Der Kalte Krieg wurde auf der Grundlage eines von einem endlosen Wettrüsten begleiteten militaristischen Gleichgewichts des Schreckens geführt. Diejenigen, die glauben, im alten "Kalten Krieg" die UdSSR innerhalb eines wahnsinnigen Wettrüstens zur Aufgabe gezwungen und allmählich zersetzt zu haben, sprechen nun davon, diese Taktik noch einmal gegen Russland anzuwenden.

Natürlich ist dies in Wirklichkeit nur eine Ausrede für die Vereinigten Staaten. Die maßlose Eskalation des Militarismus ist nicht nur eine ständige Tendenz aus der Natur des Imperialismus, sondern auch eine grundlegende Voraussetzung der Strategie der Vereinigten Staaten, der einzige Superstaat der Welt zu bleiben. In dieser Hinsicht haben sie ihre Initiativen bereits vor Jahren begonnen. Der Zusammenbruch des Ostblocks und der Wegfall der Sowjetunion als gegnerische Supermacht konnten die militaristische Politik der Vereinigten Staaten nicht entschärfen. Ganz im Gegenteil forderte die von ihnen bestimmte neue Strategie (die potenziellen zukünftigen Konkurrenten schon heute unschädlich zu machen und unter Kontrolle zu halten) eine stärkere Steigerung dieser. Der erste Golfkrieg, der unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als eine große Machtdemonstration zur Schau gestellt wurde, war ein Ausdruck dessen. Der Balkankrieg wiederum markierte einen Wendepunkt in diesem Bereich. In denselben Tagen wie dieser Krieg, der Jugoslawien unterwarf und zu seinem heutigen völligen Zerfall führte, wurde die NATO anlässlich ihres 50. Jahrestages zur Weltgendarmerie erklärt. Heute ist noch klarer zu erkennen, dass diese Entwicklung auch ein Zeichen für eine neue Eskalation im Wettrüsten war.

Die USA waren auch damit nicht zufrieden; in einer Phase, in der alle imperialistischen Großmächte sehr darauf bedacht waren, in Harmonie mit ihnen zu handeln, setzten sie aus heiterem Himmel das "National Missile Defense"-Projekt auf die Tagesordnung – nicht in der gegenwärtigen Ära der neo-faschistischen Kriegsbande, wie man sich denken würde, sondern gerade in der vorausgegangenen Clinton-Ära. Mit der Bush-Administration wurde dieses Projekt noch stärker umgesetzt. Somit erklärte die US-Regierung den 1972 mit der UdSSR unterzeichneten Vertrag über die Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen (ABM-Vertrag) einseitig für ungültig; obwohl sie genau wusste, dass dies ein allgemeines Wettrüsten auslösen würde. Während sich all dies ereignete, hatte es bis dahin weder die Angriffe vom 11. September noch die sogenannte nukleare Bedrohung durch den Iran gegeben.

Das heutige Szenario des Wettrüstens, welches von den USA angeführt und durch ihre weltweite aggressive Politik in vielerlei Hinsicht provoziert wird, ist offen zu sehen. Laut dem letzten Bericht des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) sind die Militärausgaben in den letzten 10 Jahren um 45 Prozent und somit ab dem Jahr 2007 auf 1 Billion 339 Milliarden Dollar gestiegen. Diese Angabe setzt sich zusammen aus offiziellen Beträgen des Verteidigungsetats und gibt die Realität daher nicht gänzlich wieder. Darüber hinaus sind die Beträge der Ausgaben, die im Namen der inneren Sicherheit getätigt werden, aber tatsächlich dazu dienen, den Militärapparat insgesamt zu vergrößern und zu verstärken, nicht in dieser Gesamtsumme enthalten. Dennoch sind diese Zahlen von enormem Ausmaß. Nicht einmal in der bipolaren Welt, also in der Phase des auf einem Gleichgewicht des Schreckens basierenden Kalten Krieges, wurde diese Zahl erreicht. Dies ist der direkteste Beweis dafür, dass Militarismus und Aufrüstung nicht nur ein Problem der bipolaren Welt darstellen, sondern engstens mit den essenziellen Neigungen und Notwendigkeiten des kapitalistischen Imperialismus verbunden sind.

Wie zu vermuten ist, stehen die USA mit großem Abstand an oberster Stelle bei den Militärausgaben, die nach offiziellen Angaben ab dem Jahr 2007 1 Billion 400 Milliarden erreicht haben. Sie allein tätigen fast die Hälfte (45%) der gesamten weltweiten Militärausgaben. (Laut SIPRI Daten war 2007 das Jahr, in dem die USA seit dem 2. Weltkrieg am meisten für Rüstung ausgegeben hat.) Hinter ihnen folgt der ihnen in allen Aggressions-, Kriegs- und Besatzungshandlungen zur Seite stehende imperialistische Vasall England (England folgen wiederum China, Frankreich, Japan, Deutschland und Russland...).

Beachtenswert ist außerdem, dass dieses imperialistische Duo gleichzeitig aus den beiden größten Waffenhändlern der Welt besteht. Für den Imperialismus ist der Militarismus nicht nur ein unverzichtbares Mittel zur Beherrschung der Welt, sondern auch ein hochprofitabler wirtschaftlicher Tätigkeitsbereich. In dieser Zeit, in der die Wirtschaft in den westlichen imperialistischen Metropolen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, in eine allgemeine Rezession und Stagnation gerät, drängt sich die Zuspitzung des Militarismus auch als wirtschaftliches Bedürfnis auf.

Vor etwa 20 Jahren predigte Gorbatschow als der Hauptakteur in dem Prozess, der die Sowjetunion zu einem raschen Zusammenbruch führte, der Menschheit von einem „Kapitalismus ohne Militarismus" und einem „Imperialismus ohne Krieg". Selbstverständlich glaubte er dem selbst nicht, aber es handelte sich hierbei um einen reaktionären und trügerischen politischen Diskurs im Rahmen der damaligen Ausweglosigkeit des Staates, an dessen Spitze er stand. Die dazwischen liegenden 20 Jahre und der heute erreichte Punkt haben mit einer alle Einschätzungen übertreffenden Klarheit und Gewissheit bewiesen, dass der Kapitalismus nicht frei von Militarismus und der Imperialismus nicht ohne Krieg existieren kann. Somit haben sie die wissenschaftliche Theorie des Marxismus bestätigt, welche offenlegt, dass Militarismus und Kriege dem Wesen des Kapitalismus entspringen und dass der Kapitalismus, insbesondere der imperialistische Kapitalismus, nicht ohne Militarismus und Kriege zu denken ist.

Das Programm der TKİP drückt diese grundlegende Tatsache wie folgt aus:

„Der erbitterte globale Wettbewerb zwischen den imperialistischen Monopolen hat die Form eines erbitterten Kampfes zwischen den großen imperialistischen Staaten um Märkte, Rohstoffquellen, profitable Investitionsgebiete und Einflusssphären im Allgemeinen angenommen. Dieser durch die ungleichmäßige Entwicklung verschärfte Kampf ist zur Quelle des bisher unbekannte Ausmaße erreichenden Militarismus und der um die Weltherrschaft geführten imperialistischen Kriege geworden.“ (S.21)

Das essenzielle und hauptsächliche dessen, was in der heutigen Welt geschieht, kann nur über wissenschaftliche Wahrheiten von dieser grundlegenden Bedeutung begriffen werden, die die Prüfung durch die Geschichte bestanden haben.

(Kızıl Bayrak, Ausgabe: 2008/33-36, 14. August – 4. September 2008)
Parti Değerlendirmeleri-3, Der: H. Fırat,
Eksen Yayıncılık 2009, S.255-73